Donnerstag, 5. November 2015

Anomalisa: Warum animiert?




Ich habe kürzlich auf Twitter erwähnt, dass ich nach dem Ansehen des Trailers für Anomalisa von Regisseur Charlie Kaufman Bedenken habe. Um diese auch für mich auszuformulieren (und der Ankündigung, die zumindest zwei bis drei Menschen interessierte, auch Taten folgen zu lassen) nun die folgenden Zeilen.

Zunächst einmal: über Trailer zu diskutieren ist ein Stück weit müßig. Selten vermitteln sie wirklich ein Gefühl für den fertigen Film, oft führen sie gar komplett ins Leere oder sind das Produkt einer nicht immer (oder ökonomisch nur allzu gut) nachvollziehbaren Marketingstrategie. Einer tollen Vorschau kann ein miserabler Film folgen und vice versa. Als grobe Richtlinie, ob ein Werk für jemanden persönlich interessant sein könnte, mögen sie gut sein, aber, wie gesagt, man läuft schnell Gefahr, auf etwas hereinzufallen. Dementsprechend begebe ich mich mit diesem Text natürlich auf vermintes Gebiet und führe mich selbst ein wenig ad absurdum, aber Anomalisa erzeugte so eine unmittelbare Reaktion bei mir, dass es einfach sein musste.

Anomalisa ist ein Drama, realisiert als Stop-Motion-Animationsfilm. Die Vorschau legt nahe, dass er sich dezidiert an ein erwachsenes Publikum richtet. In diesem stets vorhandenen Betonen dessen, dass Animation auch als „erwachsenes“ Ausdrucksmittel genutzt werden kann, liegt immer etwas Unnötiges, ist aber nicht Gegenstand meiner Ausführungen. Es ist vielmehr das, zumindest in der Vorschau, Fehlen eines Gespürs für die gewählte Darbietungsform. Die Figuren sind sehr realistisch gehalten, auf eine dem Uncanny Valley nicht allzu ferne Art und Weise (Abb. 1). Lediglich die Augenpartie offenbart Schlitze in den Schläfen, die deutlich auf die Künstlichkeit der Charaktere hinweisen (Abb. 2 & 3). Ansonsten gibt es eigentlich keine Anhaltspunkte dafür, warum Anomalisa als Animationsfilm daherkommt, außer der hinlänglich bekannten Tatsache, wie dehnbar das menschliche Emotionsvermögen ist, wie bereitwillig man eine mit 24 Bildern in der Sekunde animierte Puppe als lebendes Wesen annimmt.

 (Abb. 1)


(Abb. 2 & 3)

Eine der eingeblendeten wohlwollenden Kritikerstimmen bringt es auf den Punkt: „The most human film of the year – and it doesn’t star a single human." Die Vorschau suggeriert, dass des Anomalisa genau darum geht – Schaut her, auch Kaufman kann Gefühle auf Puppen übertragen. Was dem Film so abhandenkommt sind die Möglichkeiten der gewählten Kunstform. Animation kann alles und es liegt gerade in ihrer Fähigkeit zur Abstraktion, die sie so anziehend macht. Die Menschen in PIXARs Die Unglaublichen sehen nicht aus wie echte Menschen, aber ihr Äußeres wird zu einem Spiegelbild ihres Inneren. Die Figuren in Adam Elliots auf vielen Ebenen grandiosen Mary & Max sind leicht groteske Karikaturen (Abb. 4 & 5), weil sie sich immer wieder einer ebenso grotesken Welt entgegenstellen – und deren Implikationen teilweise sehr ernst genommen und auf der visuellen Ebene gebrochen werden (Abb. 6 & 7). Animation bedeutet Spielfreude, Spaß an der Abstraktion, ohne den Kern allen menschlichen Handelns – die Emotionen – aus dem Blick zu verlieren. Nur Animation kann gedankliche Vorgänge illustrieren wie jüngst Alles steht Kopf, kann die physische Welt verformen wie Science of Sleep oder den Zuschauer Gefühle für eine Linie und einen Punkt entwickeln lassen.


 (Abb. 4 & 5)


(Abb. 6 & 7)

Der Trailer für Anomalisa wirkt wie ein Realfilm, der nur durch Zufall in einem Stop-Motion-Studio entstanden ist, mitunter geradezu mutlos. Das soll nicht heißen, dass der Film nicht im Endeffekt diesen Mut doch aufbringt, dass nur ein konservativer Trailer davon nichts vermitteln kann. Und selbstredend ist es immer zu begrüßen, wenn ein Spielfilm sich auf diese wunderbare Technik besinnt. Dennoch erweckte die Vorschau bei mir die Frage: „Warum animiert?“[1] Anomalisa wird technisch sicherlich hervorragend und auch inhaltlich gibt es keinen Grund zur Beunruhigung, ob die Schere zwischen den beiden Elementen aufgrund eines nicht ganz ausgeprägten Verständnisses für die Möglichkeiten der Kunstform dann doch aufklafft, bleibt abzuwarten. Der Trailer zeigt auf jeden Fall etwas zu wenig davon.


[1] Angelehnt ist diese Frage an die Bildunterschrift auf Seite 131 von Florian Schwebels Standardwerk „Von Fritz the Cat zu Waltz with Bashir – Der Animationsfilm für Erwachsene“ (Schüren Verlag, Marburg 2010, ISBN 978-3-89472-691-1). Dort bezieht sie sich auf die deutsche Produktion Lissi und der wilde Kaiser, über den Schwebel u.a. schreibt: „ […]er versteht nichts von der Animation als Gattung und ist schnell vergessen.“ (S. 131)