Freitag, 21. November 2014

Über (Film-)Kritik



Wenn man als Kritiker, und wenn man dies auch nur mehr als Hobby, und sei es mit noch so einer großen Passion, ausführt, über das Wesen der Kritik an sich schreibt, kann man eigentlich nur verlieren. Harsche Kritik kommt wie ein Bumerang zurück, allzu versöhnliche Worte werden wiederum als nicht kritisch genug wahrgenommen. Es scheint keinen Mittelweg zu geben, man könnte es gleich lassen. Und dennoch animiert mich das Internet immer wieder, mir Gedanken zum Wesen der Medienkritik im Allgemeinen und der Filmkritik im Besonderen zu machen. Dieser Text ist ein Versuch, diese Gedanken in eine schlüssige Form zu bringen.

Dank der allgegenwärtigen Kommentarfunktionen kann man sich einer wie auch immer gearteten Kritik kaum noch entziehen. Ein besonders furchtbarer Hort ist die Videoplattform YouTube. Wie es ein Kollege ausdrückte, ist das Lesen einer beliebigen Anzahl von Kommentaren dort der Garant, den Glauben an die Menschheit wieder ein Stück weiter einzubüßen. Gerade bei deutschsprachigen Beiträgen sind rechtsorientierte Einträge niemals weit, egal, was das entsprechende Video zum Inhalt hat, die eigene Meinung wird meistens nur sehr unzureichend in einen verständlichen Satz gebracht (Satzzeichen sind eine hervorragende Erfindung) und auch die Verteidiger bekleckern sich oft nicht mit Ruhm. Eine reflektierte, gar intellektuelle Auseinandersetzung, die ab und an von besonders idealistischen Nutzern angestoßen wird, versandet meist recht schnell in der Entrüstung derer, die zu solch einer Diskussion nicht in der Lage sind. Wer am lautesten brüllt hat recht und gerade die genannten Rechtskonservativen beenden jeglichen Diskurs mit dem Verweis auf die unterwanderten Mainstreammedien. Im Internet darf ein jener jedem noch so absurden Weltbild frönen und dies durch ein paar Zeilen unter einem Video verbreiten.

Nun ist diese Erkenntnis nicht neu. Über das Internet lässt sich nicht nur schnell und unbürokratisch etwas Gutes für die Allgemeinheit organisieren, sondern es vernetzen sich auch Gruppen, die der Demokratie, die eine solche Nutzung überhaupt erst möglich macht, aktiv schaden wollen. Es ist die bekannte Dualität, mit der man als Bewohner dieses widersprüchlichen Planeten leben muss. Doch die Heftigkeit, mit der Diskussionen auch über eigentliche Nichtigkeiten geführt werden, erstaunt immer wieder. Über das Warum kann man vortrefflich spekulieren und landet am Ende mit einiger Wahrscheinlichkeit wieder bei der vermeintlichen Anonymität im Netz. Das fehlende menschliche Gegenüber, das Ausbleiben einer direkten emotionalen Reaktion lässt die Hülle der Zivilisation augenscheinlich um einiges schneller fallen als es eine reelle Begegnung provozieren würde. Wobei die (gefühlt) zunehmende Aggressivität im Alltag auch eine gegenteilige Entwicklung belegen könnte, aber das ist ein Thema für sich.

Gerade in der Filmkritik manifestiert sich die Dualität in der immer wieder gern bemühten Unterscheidung zwischen „Mainstream“ und „Arthaus“. Ja, auch ich verwende diese Begriffe, mal mehr, mal weniger negativ konnotiert, aber der Absolutheitsanspruch, mit dem die Unterscheidung und die damit verbundene (eingebildete) Wertigkeit teilweise verteidigt wird, erstaunt mich. Ein Beispiel: Einer der für mich besten Filme des Jahres 2013 ist der ungarische Just the Wind. Der Film ist sperrig, lief in Deutschland mit einer verschwindend geringen Kopienanzahl und dürfte außerhalb von cinephilen Kreisen kaum beachtet, geschweige denn gesehen, werden. Gravity dürften hingegen sehr viel mehr Menschen gesehen haben, auch viele, die ohnehin nur „Mainstream“ schauen. Ist es deshalb angeraten, die Zuschauer von Just the Wind automatisch als intelligenter, gebildeter, geschmackvoller als die Gravity-Fans einzustufen? Wohl kaum. Zumal auch Gravity ein grandioser Film war. Der Filmkritiker benutzt das Distinktionsmerkmal gern die Abgrenzung zur populären Unterhaltung, egal so sie angebracht ist oder nicht. Natürlich ist man in der Mehrheit, wenn man die Transformers-Filme ablehnt, aber man kann genauso Pacific Rim gegen einen falsch verstandenen Intellektualitätsanspruch verteidigen. Der Trugschluss liegt einfach darin, im „Arthaus“ automatisch etwas wertigeres zu sehen als in jenen Filmen, die auch ihren Weg ins Multiplex finden. Natürlich ist Film ein weites Feld, von dem man sich wünscht, dass es von vielen Menschen abgegrast, zumindest bemerkt, wird. Ganz davon abgesehen, dass die Freund der Distinktion sich dann im verhassten „Mainstream“ wiederfinden würden, ist es wohl auch schlicht nicht möglich. Kultur hat an sich einen schwierigen Stand und gerade die audiovisuellen Medien sind immer noch einem unterschwelligen Generalverdacht ausgeliefert, doch „nur“ eskapistische Unterhaltung zu offerieren. Und genau das sucht wohl ein Großteil der von der täglichen, nicht mit der Kultur im engeren Sinne verbundenden Arbeit. Der sogenannte „Mainstream“ generiert sich aus einem Bedürfnis, nicht aus einer allgemeinen Dummheit, wie manchmal unterstellt wird. Es ist also falsch, aus dem Ist-Zustand auf eine allgemeingültige geistige Verfassung des Publikums zu schließen. Natürlich kann man Gegenbeispiele en masse finden, natürlich kann man manchmal ob der Formelhaftigkeit vieler Produktionen verzweifeln und die Sinnfrage ist nach der zehntausendsten romantischen Komödie und dem x-ten Slasherfilm selbstredend angebracht, aber es ist kein Automatismus, dass sich in dem, was der angeblich so kulturbeflissende Kritiker als „Mainstream“ verunglimpft, nicht auch Überraschungen oder schlicht und einfach gute Unterhaltung verbergen kann.

Es ist zudem eine Frage, wie man die eigenen Gedanken kommuniziert. Eine schlüssige, intelligent geschriebene Verteidigung des neusten Michael-Bay-Films ist mir beispielsweise sehr viel willkommener als ein Bashing des neusten Blockbusters, dass sich einer vulgären Sprache bedient oder – fast noch schlimmer – keinerlei Einblick in die Gedankengänge und Urteilsfindungen des Rezensenten bietet. Gelingt mir das immer? Wohl kaum. Doch wenn ich mir meine Kritiken ansehe, die ich als Jugendlicher aufs Papier brachte, bin ich froh, dem persönlichen Beleidigungsdrang inzwischen entwachsen zu sein und mehr auf eine Narrative innerhalb der Besprechungen zu achten. Und ich lese mit Gewinn gut geschriebene Gedanken anderer Blogger und Kritiker, auch wenn sie nicht meiner eigenen Meinung entsprechen. Doch es gibt auch Negativbeispiele, die ihre Rezensionen lieber mit Kraftausdrücken anreichern oder ein Urteil zementieren wollen, ohne dies auch nur im Entferntesten zu begründen. Nochmal, es geht nicht um die Pluralität der Meinungen, sondern um die Art und Weise, wie sie verpackt werden und das mitunter krude Überlegenheitsgefühl, dass sich in diversen Grundsatzurteilen andeutet. Bin ich „besser“, weil mir die Herr der Ringe- und Hobbit-Filme nicht gefallen, ich dafür den originalen Bis das Blut gefriert kenne und nicht nur das Remake? Und bin ich ein unwissender Trottel, weil ich den Star Wars-Prequels gute, mitunter sogar großartige Seiten abgewinnen kann, den Arthaus-Liebling 2013, Frances Ha, aber über weite Strecken schwer erträglich finde?

Letztlich gilt in der Filmkritik der gleiche Grundsatz wie auch sonst im Leben: etwas mehr Gelassen- und vor allem Besonnenheit nimmt viel Konfliktpotenzial aus Situationen heraus. Das dies nicht immer gelingen kann, ist auch verständlich, immerhin hat man es immer noch mit Menschen zu tun, aber die Reflexe, die das Internet manchmal zutage fördert, tun dem Wesen der Kritik und einem respektvollen Miteinander meistens weniger gut. Warum schaut man beispielsweise Roger Ebert und Gene Siskel auch nach ihren Toden gern noch bei aufgezeichneten Streitgesprächen zu? Weil dort zwei intelligente Menschen mit einer Passion über etwas streiten, was im Angesicht der Probleme der Welt nichtig erscheinen mag, sie ihre Argumente aber dennoch in einen nachvollziehbaren, dem Menschen und dem Sujet mit Respekt begegnenden Rahmen zu verpacken wissen. Wenn Hitzköpfe aufeinander losgehen oder die berühmt-berüchtigten Internet-Trolle darauf warten, eigentlich besonnene Menschen auf ihr Niveau hinabzureißen, ist das schon weit weniger unterhaltsam und vor allem einer fruchtbaren Diskussionskultur unwürdig.

Montag, 12. Mai 2014

Conchita Wurst als Gradmesser - Kleiner Kommentar zum ESC 2014



 Bild (c) ap, FA KW

Es sei vorangestellt, dass der Autor dieser Zeilen kein unkritischer Anhänger der Theorie ist, dass die Geschlechtsidentität eines Menschen ausschließlich kulturell beeinflusst wird. Ebenso wenig glaube ich daran, die unbestreitbaren Unterschiede zwischen den Geschlechtern ausschließlich biologisch erklären zu können. Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo dazwischen. Fest steht jedoch, dass Gesellschaften sich schwer tun, einmal festgefahrene Strukturen und Denkmodelle zu verlassen oder sie zumindest aufzubrechen. Der Sieg von Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest 2014 ist gerade deshalb bemerkenswert, weil man eine „Provokation“ gewürdigt hat.

Die Kinokette cinemaxx bietet turnusmäßig die sogenannte Ladies Night bzw.den Männerabend an. Bei ersterem gibt es zum Film eine Flasche Sekt und eine Ausgabe der Zeitschrift Gala dazu, bei letzterem ein Bier und ein Playboy-Magazin. Für die Frauen werden meist die neusten „romantic comedys“ gezeigt, die Männer werden oft mit Actionfilmen abgespeist. Das ganze Konzept ist angelegt als Klischee, als unhinterfragte Weiterschreibung von geschlechtlichen Stereotypen. Nun ist nichts gegen Frauen zu sagen, die bei einer seichten Komödie entspannt einen Sekt schlürfen oder Männern, die ihr Bier im Beisein von generischen Explosionen genießen wollen, es ist vielmehr die Ausschließlichkeit, die Festlegung auf ein vermeintlich zutreffendes Bild von Männern und Frauen, das aufstößt.

Wäre das Kino das einzige Reservat, in dem diese archaischen Zuschreibungen einmal die Woche noch greifen würden, wäre vermutlich nichts dagegen zu sagen, es wäre ein putziges Spiel mit längst überwunden geglaubten, betonartigen Zuschreibungen. Doch dem ist nicht so, alles hängt zumindest latent noch einer festen Rollenzuschreibung nach. Frauen mit eigenen Meinungen irritieren die Männer, Männer, die nicht dem Bild eines ständig nach Fleisch schmachtenden Fußballfans entsprechen werden argwöhnisch beobachtet – oftmals von beiden Geschlechtern. Es sind überkommende Ideen, die in den Köpfen herum spuken und unsere Gesellschaft braucht auch noch um 21. Jahrhundert eine Figur wie Conchita Wurst, hebt sie die als sicher geltenden Geschlechtsschranken doch vollkommen auf.

Selbstredend ist das Konzept nicht neu, weder das der Travestie noch des schrillen, durchaus provokativen Auftretens (wobei Conchita augenscheinlich nur durch ihre bloße Existenz bereits provoziert). Doch es ist ein Unterschied, wenn sich die Gesellschaft zur besten Sendezeit mit etwas auseinandersetzen muss, was sonst nur in bewusst gewählten Zirkeln geschieht.
„Conchita Wursts Auftritt beim ESC ist Körperpolitik nicht an der Uni, sondern im Mainstream.“, bemerkt Mithu Sanyal für WDR 5 sehr treffend und fügt nüchtern hinzu: „Und da gehört sie auch hin.“[1]

So macht auch der opulente Auftritt Sinn, steht er doch in direkter Tradition der Travestie – und weniger in der eines James-Bond-Intros. Conchita hat 150 Millionen Zuschauern deutlich vor Augen geführt, dass es mit der vollkommen eindeutigen Geschlechtszuschreibung so eine Sache ist. Tom Neuwirth, die Person hinter Conchita, hat unzweifelhaft eine Kunstfigur im besten Sinne geschaffen, weder Mann noch Frau – sondern uneindeutig, schlicht menschlich. Wer sich daran stört, womöglich sogar in der eigenen Sexualität oder Neuwirth zum Psychotherapeuten schicken möchte wie unlängst der Entertainer Alf Poier[2], der demonstriert damit nur ein Unbehagen, dass zu lange in der als sicher geltenden Definitionsdecke von Geschlechtlichkeit eingerollt war. Einer freiheitlichen Gesellschaft, die überkommende alte Zöpfe abschneiden will und sollte, gereicht dies nicht zur Ehre.

So ist der Sieg Conchitas natürlich auch ein politisches Statement, aber eben eins, dass als gesellschaftlicher Gradmesser fungieren kann. Der „Westen“ positioniert sich dadurch klar als Opposition zum „Osten“, der in der angespannten politischen Lage getrost mit Russland gleichgesetzt werden kann. So sind die Buh-Rufe, wann immer Russland für ein reichlich schlechtes Lied und eine schwache Performance eine hohe Punktezahl einfahren durfte, zwar nicht sonderlich sportlich, von einem rein emotionalen Standpunkt aber erklärbar. Natürlich ist dies ein irritierender Rückfall in Zeiten des Kalten Krieges und natürlich sind Situationen wie die Ukrainekrise komplexer als simple Schwarz/Weiß-Malerei, aber der ESC ist kaum eine Bühne zur tiefergehenden politischen Diskussion. Es regiert das emotionale Moment und dies hat sich am letzten Samstag in einem spontanen Bekenntnis zum Progressiven entladen. Selbst wenn man nicht so weit gehen möchte, ist die Diskussion nun entbrannt und womöglich denken nun mehr Menschen über das Konstrukt Geschlecht nach – es verletzt niemanden und verwandelt heterosexuelle Menschen auch nicht reihenweise in Homosexuelle. So sind die ätzenden Kommentare, die von russischen Politikern kommen, kaum mehr als verzweifelte Realsatire: Wenn man Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg besetzt gehalten hätte, dann wäre so etwas nie passiert.[3]

Eine Gesellschaft wird erst dann das Höchstmaß an Entwicklung erreicht haben, wenn ein Mensch wie Conchita auch nicht mehr Aufmerksamkeit erregt als jeder andere Teilnehmer einer Veranstaltung wie des ESC. Bis dahin sind die als Seismograph, Statement und Kampfansage gegen sinnlos-tradierte Rollenbilder unerlässlich.


[1] Mithu Sanyal: Barbiepuppe mit Bart
[2] Tiroler Tageszeitung Online: Song Contest 2014 – Poier über Wurst: „Verschwulte Zumpferl-Romantik“:
[3] RP Online: Russische Politiker schimpfen auf Conchita Wurst: