Montag, 25. März 2013

Ein Film ist niemals nur ein Film



Ein Film ist niemals nur ein Film. Diese Erkenntnis mag für manche an Banalität nicht zu überbieten sein, bedarf aus meiner Erfahrung aber dennoch ein paar erklärender Worte.

Film, als Kunstform verstanden, kann großen Einfluss auf die Sehenden haben. Es gibt Filme, die bleiben, deren Themen und Gestaltungselemente tief im Gehirn des Rezipienten verankert werden. Das kann der erste im Kino genossene Film sein, der aufgrund des Überwältigungscharakters, dass Kino auf beispielsweise 6jährige ausübt, für immer als eine prägende mediale Erfahrung präsent bleiben wird. Andere Filme gehen im Detail verloren, waten aber mit derartig brillanten Momenten auf, dass auch sie noch Jahrzehnte lang abrufbar sind – manchmal ohne den Filmtitel präsent zu haben. Und wieder andere Filme bleiben für immer beim Sehenden, weil sie ein Thema kongenial behandeln, weil sie aktiv zum Denken aufrufen, weil ihr Zusammenspiel zwischen Bild und Inhalt so bravurös ist, dass es unmöglich wird, sie aus den Windungen der Großhirnrinde zu verbannen.

Man könnte nun mannigfaltige Beispiele aufzählen von großartigen Filmen, die imstande sind, solche Dinge zu leisten. Aber es geht hier nicht um einen großartigen Film, sondern um das genaue Gegenteil – um Zack Snyders 300, anno 2007 ins Kino gekommen und sicher einer der meistdiskutierten Filme des damaligen Jahres. Erzählt wird die Schlacht an den Thermopylen, bei der 300 Spartaner ein Herr von technisch und zahlenmäßig überlegenen Persern zwei Tage lang aufhielten – lang genug, um dem Rest Griechenlands die Möglichkeit zu geben, seine Kräfte zum Kampf gegen die Invasoren zu bündeln. Aus der ziemlich einfachen Prämisse wurde ein ziemlich furchtbarer Film, in seiner Ästhetik und seinem Inhalt, seinem ganzen Sein nichts anderes als faschistischer Gedanken- und Gestaltungsmüll.  

300, das ist die Geschichte von dreihundert Herrenmenschen, kommend aus dem totalitären Sparta, die aber die „Freiheit“ gegen den Feind, also alle anderen, verteidigen. Und die Anderen, dass sind, auf den Punkt gebracht, die Ausländer. Dabei ging und geht es nicht darum, dass die Geschichte einer Invasion erzählt wird, sondern wie gedankenlos sich der Film allen Versatzstücken des Faschismus bedient und diese ebenso gedankenlos zu einem großen Werbevideo für die totalitäre, gleichgeschaltete Gesellschaft vermengt. Alles, was „anders“ ist, wird verteufelt: der nicht-weiße Mensch, Homosexualität, Behinderung. So kann man das filmische Endergebnis kaum besser als Rüdiger Suchsland von artechock zusammenfassen:

„Das Ergebnis schillert zwischen Herr der Ringe-Sumpf und Riefen­stahl-Ödnis, ein Propa­gan­da­film übelster Sorte – wenn er nicht auch noch dumm wäre. Durch­hal­te­kino mit offen­kun­diger, auf den Irak-Krieg gemünzter Botschaft. Ärgerlich, wie plump der Film auf seiner wertenden Entge­gen­set­zung Orient-Okzident herum­reitet, wie rassis­tisch und politisch reak­ti­onär der Film ist, in seiner Zeichnung der Orien­talen als dege­ne­rierte Krüppel, tuntig-dekadente Pervers­linge und aller Nicht-Kämpfer als implizite Verräter, d.h. als Leute, die poli­ti­schen Lösungen den Vorzug vor militä­ri­schen geben.“[1]

Sein Kollege Thomas Willmann lieferte dann auch noch gleich das Gegenargument zum oft ins Feld gebrachten Einwurf, 300 wäre doch „nur“ ein Film und als solcher nur Unterhaltung:

„Mir graust's schlicht davor, dass offenbar Horden von Menschen bereit sind, einen Film wie 300 ohne das kleinste bisschen Magen­be­schwerden zu schlucken. Die Frage ist ja nicht, was Spaß macht, wenn man sich nur drauf einlässt. Die Frage ist, worauf man bereit ist sich einzu­lassen, um Spaß zu haben.“[2]

Damit schlagen wir den Bogen zum Beginn des Artikels: Ein Film ist niemals nur ein Film. Warum aber hat gerade 300 in diesem Punkt wieder an Aktualität gewonnen, warum kann man solch ein Machwerk nicht einfach ruhen lassen und den peinlich-berührten Mantel des cineastischen Vergessens über ihn ausbreiten?
Weil 300 in manchen Kreisen offenbar auf weiterhin sehr fruchtbaren Boden fällt. 2007 schrieb ich in einer inzwischen nicht mehr online einsehbaren Filmkritik, dass man 300 ohne weiteres auf jeder NPD-Veranstaltung zeigen könnte, wo man mit begeisterten Jubelstürmen ob der Blut-und-Boden-Rhetorik des Films rechnen dürfte. Dies ist nun gewissermaßen passiert, wie die aktuelle ZEIT informiert. In einem Artikel von Volker Weiss geht es um die Identitären, einer obskuren Bewegung am rechten Rand, die wie folgt vorgestellt wird:

„Ende Dezember traf sich ein kleines Häuflein rechter Aktivisten zum abendlichen Fotoshooting am Brandenburger Tor. Die wehenden Fahnen vor dem deutschen Nationalsymbol schufen die gewünschte Melodramatik. Ungewohnt war nur das Zeichen auf den Fahnen: der griechische Buchstabe Lambda, das Emblem der Identitären Bewegung. Dieser schwarze Winkel auf gelbem Grund ist eine Anleihe bei der Antike; damals soll das Zeichen die Schilde der Spartaner geziert haben. Popularisiert wurde das Symbol durch die Comicverfilmung 300, in der eine kleine Schar spartanischer Übermenschen am Thermopylen-Pass die Invasion einer ausländischen Multikulti-Streitmacht abwehrt – und so vermeintlich das Entstehen der abendländischen Kultur gerettet hat. Vom blutigen Hollywood-Sandalenfilm fand das Lambda schließlich den Weg ins Zentrum rechter Symbolpolitik.“[3]

Nun informiert uns Weiss weiter darüber, dass die Identitären sich selbst nicht als rassistisch einstufen, die Erde aber fein säuberlich in zugewiesene Territorien aufteilen möchten, jedes „Volk“ also nur da zu leben hat, wo sich sein „Lebensraum“ erstreckt und auch sonst ziemlich viele Überschneidungen mit den Positionen der NPD hat. Und das alles unter des Signum aus einem als Actionfilm getarntem Faschismus-Kino. Ein Film ist niemals nur ein Film.

Neigen Medienwissenschaftler und Filmkritiker mit Hang zu Cultural Studies mitunter dazu, zu viel in manche Filme hineinzulesen? Vielleicht. Aber zu wenig hineinzulesen ist ebenso fatal. Ein Film ist niemals nur ein Film. Ein Werk wie 300 wird wahrscheinlich auch in Zukunft aktuell sein, sowohl für diejenigen, die in ihm ein faschistisches Loblied sehen wollen, als auch für diejenigen, die ihn ohne „Magenbeschwerden“ goutieren. Man kann nur immer wieder das Plädoyer halten, Film nicht nur als leicht konsumierbares Medienwerk zu betrachten, sondern als vielschichtige Kunstform, gerade auch im Hinblick auf die immense Bedeutung und Wirkkraft, die er besitzt. 300 ist in diesem Sinne genauso ein Kunstwerk wie Triumph des Willens, wenn man nur Teilaspekte, wie beispielsweise die technische Umsetzung, betrachtet. Doch macht sich ein Film, sein Regisseur, sein Inhalt zu sehr mit einer Sache gemein, die nicht mit demokratischen und menschenrechtlichen Prinzipien vereinbar ist, kommt man in bedenkliche Gefilde:

„Aber ist doch alles nur Unter­hal­tung? Kann man immer sagen. Aber wenn Film­re­gis­seure sagen, ‚Wir wollen unter­halten. Sonst nichts‘, wird es immer gefähr­lich. Denn dann kann man sicher sein: Der Film ist mehr als Unter­hal­tung und wahr­schein­lich ist er auch noch schlecht.“[4]

 Und plötzlich erkennt man ein Symbol aus einem miesen Film auf den Fahnen einer ganz realen rechten Bewegung, die die Blut-und-Boden-Rhetorik, die man im Film unter wohlwollenden Vorzeichen noch belächelt hat, ganz ernst nimmt und meint und man erkennt: Ein Film ist niemals nur ein Film.


[1] Suchsland, Rüdiger: Morgenrot des Todes, in artechock: http://www.artechock.de/film/text/kritik/3/30defi.htm
[2] Willmann, Thomas: Matschigbraune Spartaküsschen, in artechock: http://www.artechock.de/film/text/kritik/3/30defi.htm
[3] Weiss, Volker: Nicht links, nicht rechts – nur national, in DIE ZEIT 13/2013, S. 56
[4] Suchsland, Rüdiger: Morgenrot des Todes, in artechock: http://www.artechock.de/film/text/kritik/3/30defi.htm

Donnerstag, 7. März 2013

Filmkritik: Lore



Lore Filmplakat (Quelle: HöhnePresse)

Als sich das Dritte Reich unweigerlich seinem Ende nähert und die Alliierten das Land befreien, geraten die nationalsozialistischen Eltern der jungen Lore (grandios: Saskia Rosendahl) in amerikanische Gefangenschaft und lassen ihre insgesamt fünf Sprösslinge mittellos zurück. Nachdem auch das Tafelsilber ihnen keine Nahrung mehr einbringt und die ehemals zur Oberklasse des Nazi-Regimes gehörenden Kinder die zunehmenden Antipathien der Bevölkerung spüren, machen sie sich auf eine 900 Kilometer lange Reise vom Schwarzwald zur Großmutter, die auf einer Hallig in der Nordsee lebt. Unterwegs erhalten sie unerwartete (und zunächst auch unerwünschte) Hilfe von Thomas (Kai Malina), dessen Pass und Tätowierung am Arm ihn als Juden ausweisen…
Lore ist ein Film, der keinen einfachen oder gar ausgetretenen Pfad begeht. Er verzichtet auf die Darstellung von zerstörten Städten, sucht nicht die große Inszenierung oder die Überwältigung, sondern schickt seine Figuren durch sonnige Wälder und mit Blumen übersäte Wiesen. Es ist eine schöne, romantische Szenerie, durch die die australische Regisseurin Cate Shortland Lore und ihre Geschwister schickt, doch über allem hängt stets eine Art nervöser Unruhe, die sich manchmal abrupt entlädt, um dann wieder in den verhalten-angespannten Zustand zu verfallen. Über dem Sommer 1945 hängt eine „seltsame Hitze“, wie eine Figur anmerkt und atmosphärisch passt das gut zum gesamten Film. So passt es auch, dass Kameramann Adam Arkapaw stets dicht bei den Protagonisten bleibt. Teilweise extreme Nah- und Detailaufnahmen vermitteln ein Gefühl von Nähe, zudem ist der Film nicht flächendeckend mit einem musikalischen Soundtrack unterlegt, sondern gibt Sequenzen Möglichkeit, nur durch Geräusche ihre Wirkung zu entfalten.
Auch in der Figurenzeichnung geht Lore Wagnisse ein. Rosendahls Hauptfigur steht an der Schwelle zur Pubertät, glaubt noch lange an den Endsieg und wird durch das Auftauchen von Malinas Thomas in einen Zwiespalt gebracht. Hin- und hergerissen zwischen aufkeimenden sexuellen Interesse und antisemitischer Verachtung ist die Spannung zwischen den Figuren ebenfalls eine „seltsame Hitze“, die über den Szenen flimmert. Dabei vermeidet es Shortland, die auch das Drehbuch für den Film nach dem Roman Die dunkle Kammer von Rachel Seiffert schrieb, Lore nur böse und Thomas nur gut darzustellen. Beide bleiben den Film über höchst ambivalente Figuren, deren Zweckgemeinschaft durch die Spannungen immer kurz davor steht, zu zerplatzen. Lores Verachtung wird zunehmend angekratzt, während man über Thomas nicht nur gutes berichten kann. Nicht nur nähert er sich Lore zunächst in äußerst ruppiger und eindeutiger Art, auch seine Motive, ja seine ganze Identität ist diskussionswürdig. So verschiebt sich die Zuschauerwahrnehmung stetig, sie bleibt ähnlich wie die Beziehungen der Figuren zueinander im stetigen Fluss, auch wenn dieser Fluss nicht einem wohlwollenden Meer endet.
Besonders geschickt wird auch der Grundstein für die Kultur des Schweigens nach dem Ende des Krieges gelegt. Eine Gruppe Menschen in einem Zug versichert sich gegenseitig, von nichts gewusst zu haben und dass die Alliierten die Nazi-Verbrechen aufbauschen und Lores Großmutter spricht gegen Ende des Films den programmatischen Satz: „Eure Eltern haben nichts falsch gemacht.“ Damit beginnt im Haus der Großmutter nicht nur das Schweigen über den Krieg und die Verbrechen als solche, sondern auch über die Erlebnisse der Kinder. Nicht umsonst ist bereits der Titel des Films doppeldeutig. Einerseits ist Lore die Kurzform von Hannelore, der vollständige Vorname von Rosendahls Figur, andererseits bezeichnet im Englischen lore, als Substantiv gebraucht, die Gesamtheit einer bestimmten kulturellen Erzählwelt, werden also in diesem Fall Mythen, Halbwahrheiten und Legenden über den Zweiten Weltkrieg zu lore – zu Sagen, die erst durch hartnäckiges Schweigen über die Wahrheit entstehen können.
Lore ist ein hervorragender Film, gut gespielt, toll bebildert und auf vielen Ebenen interessant und stimmig. Die einzige Frage, die offen bleibt: Warum kam dieser als Beitrag Australiens ins Rennen um den Auslandsoscar geschickte Film nicht in die engere Auswahl der Academy?