Ein Film ist niemals nur ein Film. Diese Erkenntnis mag für
manche an Banalität nicht zu überbieten sein, bedarf aus meiner Erfahrung aber
dennoch ein paar erklärender Worte.
Film, als Kunstform verstanden, kann großen Einfluss auf die Sehenden haben. Es gibt Filme, die bleiben, deren Themen und Gestaltungselemente tief im Gehirn des Rezipienten verankert werden. Das kann der erste im Kino genossene Film sein, der aufgrund des Überwältigungscharakters, dass Kino auf beispielsweise 6jährige ausübt, für immer als eine prägende mediale Erfahrung präsent bleiben wird. Andere Filme gehen im Detail verloren, waten aber mit derartig brillanten Momenten auf, dass auch sie noch Jahrzehnte lang abrufbar sind – manchmal ohne den Filmtitel präsent zu haben. Und wieder andere Filme bleiben für immer beim Sehenden, weil sie ein Thema kongenial behandeln, weil sie aktiv zum Denken aufrufen, weil ihr Zusammenspiel zwischen Bild und Inhalt so bravurös ist, dass es unmöglich wird, sie aus den Windungen der Großhirnrinde zu verbannen.
Man könnte nun mannigfaltige Beispiele aufzählen von
großartigen Filmen, die imstande sind, solche Dinge zu leisten. Aber es geht
hier nicht um einen großartigen Film, sondern um das genaue Gegenteil – um Zack
Snyders 300, anno 2007 ins Kino
gekommen und sicher einer der meistdiskutierten Filme des damaligen Jahres.
Erzählt wird die Schlacht an den Thermopylen, bei der 300 Spartaner ein Herr
von technisch und zahlenmäßig überlegenen Persern zwei Tage lang aufhielten –
lang genug, um dem Rest Griechenlands die Möglichkeit zu geben, seine Kräfte
zum Kampf gegen die Invasoren zu bündeln. Aus der ziemlich einfachen Prämisse
wurde ein ziemlich furchtbarer Film, in seiner Ästhetik und seinem Inhalt,
seinem ganzen Sein nichts anderes als faschistischer Gedanken- und
Gestaltungsmüll.
300, das ist die
Geschichte von dreihundert Herrenmenschen, kommend aus dem totalitären Sparta,
die aber die „Freiheit“ gegen den Feind, also alle anderen, verteidigen. Und
die Anderen, dass sind, auf den Punkt gebracht, die Ausländer. Dabei ging und
geht es nicht darum, dass die Geschichte einer Invasion erzählt wird, sondern
wie gedankenlos sich der Film allen Versatzstücken des Faschismus bedient und
diese ebenso gedankenlos zu einem großen Werbevideo für die totalitäre,
gleichgeschaltete Gesellschaft vermengt. Alles, was „anders“ ist, wird
verteufelt: der nicht-weiße Mensch, Homosexualität, Behinderung. So kann man
das filmische Endergebnis kaum besser als Rüdiger Suchsland von artechock zusammenfassen:
„Das Ergebnis schillert zwischen Herr der Ringe-Sumpf und Riefenstahl-Ödnis,
ein Propagandafilm übelster Sorte – wenn er nicht auch noch dumm wäre. Durchhaltekino
mit offenkundiger, auf den Irak-Krieg gemünzter Botschaft. Ärgerlich, wie
plump der Film auf seiner wertenden Entgegensetzung Orient-Okzident herumreitet,
wie rassistisch und politisch reaktionär der Film ist, in seiner Zeichnung
der Orientalen als degenerierte Krüppel, tuntig-dekadente Perverslinge und
aller Nicht-Kämpfer als implizite Verräter, d.h. als Leute, die politischen
Lösungen den Vorzug vor militärischen geben.“[1]
Sein Kollege Thomas Willmann
lieferte dann auch noch gleich das Gegenargument zum oft ins Feld gebrachten
Einwurf, 300 wäre doch „nur“ ein Film
und als solcher nur Unterhaltung:
„Mir graust's schlicht davor,
dass offenbar Horden von Menschen bereit sind, einen Film wie 300 ohne das kleinste bisschen Magenbeschwerden
zu schlucken. Die Frage ist ja nicht, was Spaß macht, wenn man sich nur drauf
einlässt. Die Frage ist, worauf man bereit ist sich einzulassen, um Spaß zu
haben.“[2]
Damit schlagen wir den Bogen zum
Beginn des Artikels: Ein Film ist niemals nur ein Film. Warum aber hat gerade 300 in diesem Punkt wieder an Aktualität
gewonnen, warum kann man solch ein Machwerk nicht einfach ruhen lassen und den
peinlich-berührten Mantel des cineastischen Vergessens über ihn ausbreiten?
Weil 300 in manchen Kreisen offenbar auf weiterhin sehr fruchtbaren
Boden fällt. 2007 schrieb ich in einer inzwischen nicht mehr online einsehbaren
Filmkritik, dass man 300 ohne weiteres
auf jeder NPD-Veranstaltung zeigen könnte, wo man mit begeisterten Jubelstürmen
ob der Blut-und-Boden-Rhetorik des
Films rechnen dürfte. Dies ist nun gewissermaßen passiert, wie die aktuelle ZEIT informiert. In einem Artikel von
Volker Weiss geht es um die Identitären, einer obskuren Bewegung am rechten
Rand, die wie folgt vorgestellt wird:
„Ende Dezember traf sich ein
kleines Häuflein rechter Aktivisten zum abendlichen Fotoshooting am
Brandenburger Tor. Die wehenden Fahnen vor dem deutschen Nationalsymbol schufen
die gewünschte Melodramatik. Ungewohnt war nur das Zeichen auf den Fahnen: der
griechische Buchstabe Lambda, das Emblem der Identitären Bewegung. Dieser
schwarze Winkel auf gelbem Grund ist eine Anleihe bei der Antike; damals soll
das Zeichen die Schilde der Spartaner geziert haben. Popularisiert wurde das
Symbol durch die Comicverfilmung 300,
in der eine kleine Schar spartanischer Übermenschen am Thermopylen-Pass die
Invasion einer ausländischen Multikulti-Streitmacht abwehrt – und so
vermeintlich das Entstehen der abendländischen Kultur gerettet hat. Vom
blutigen Hollywood-Sandalenfilm fand das Lambda schließlich den Weg ins Zentrum
rechter Symbolpolitik.“[3]
Nun informiert uns Weiss weiter
darüber, dass die Identitären sich selbst nicht als rassistisch einstufen, die
Erde aber fein säuberlich in zugewiesene Territorien aufteilen möchten, jedes „Volk“
also nur da zu leben hat, wo sich sein „Lebensraum“ erstreckt und auch sonst
ziemlich viele Überschneidungen mit den Positionen der NPD hat. Und das alles
unter des Signum aus einem als Actionfilm getarntem Faschismus-Kino. Ein Film
ist niemals nur ein Film.
Neigen Medienwissenschaftler und
Filmkritiker mit Hang zu Cultural Studies
mitunter dazu, zu viel in manche Filme hineinzulesen? Vielleicht. Aber zu wenig
hineinzulesen ist ebenso fatal. Ein Film ist niemals nur ein Film. Ein Werk wie
300 wird wahrscheinlich auch in
Zukunft aktuell sein, sowohl für diejenigen, die in ihm ein faschistisches
Loblied sehen wollen, als auch für diejenigen, die ihn ohne „Magenbeschwerden“
goutieren. Man kann nur immer wieder das Plädoyer halten, Film nicht nur als
leicht konsumierbares Medienwerk zu betrachten, sondern als vielschichtige
Kunstform, gerade auch im Hinblick auf die immense Bedeutung und Wirkkraft, die
er besitzt. 300 ist in diesem Sinne
genauso ein Kunstwerk wie Triumph des
Willens, wenn man nur Teilaspekte, wie beispielsweise die technische
Umsetzung, betrachtet. Doch macht sich ein Film, sein Regisseur, sein Inhalt zu
sehr mit einer Sache gemein, die nicht mit demokratischen und
menschenrechtlichen Prinzipien vereinbar ist, kommt man in bedenkliche Gefilde:
„Aber ist doch alles nur Unterhaltung?
Kann man immer sagen. Aber wenn Filmregisseure sagen, ‚Wir wollen unterhalten.
Sonst nichts‘, wird es immer gefährlich. Denn dann kann man sicher sein: Der
Film ist mehr als Unterhaltung und wahrscheinlich ist er auch noch
schlecht.“[4]
Und plötzlich erkennt man ein Symbol aus einem
miesen Film auf den Fahnen einer ganz realen rechten Bewegung, die die Blut-und-Boden-Rhetorik, die man im Film
unter wohlwollenden Vorzeichen noch belächelt hat, ganz ernst nimmt und meint
und man erkennt: Ein Film ist niemals nur ein Film.
[1]
Suchsland, Rüdiger: Morgenrot des Todes,
in artechock: http://www.artechock.de/film/text/kritik/3/30defi.htm
[2]
Willmann, Thomas: Matschigbraune
Spartaküsschen, in artechock: http://www.artechock.de/film/text/kritik/3/30defi.htm
[3] Weiss,
Volker: Nicht links, nicht rechts – nur national,
in DIE ZEIT 13/2013, S. 56
[4] Suchsland,
Rüdiger: Morgenrot des Todes, in artechock: http://www.artechock.de/film/text/kritik/3/30defi.htm