Wenn man als Kritiker, und wenn
man dies auch nur mehr als Hobby, und sei es mit noch so einer großen Passion,
ausführt, über das Wesen der Kritik an sich schreibt, kann man eigentlich nur
verlieren. Harsche Kritik kommt wie ein Bumerang zurück, allzu versöhnliche
Worte werden wiederum als nicht kritisch genug wahrgenommen. Es scheint keinen
Mittelweg zu geben, man könnte es gleich lassen. Und dennoch animiert mich das
Internet immer wieder, mir Gedanken zum Wesen der Medienkritik im Allgemeinen
und der Filmkritik im Besonderen zu machen. Dieser Text ist ein Versuch, diese
Gedanken in eine schlüssige Form zu bringen.
Dank der allgegenwärtigen
Kommentarfunktionen kann man sich einer wie auch immer gearteten Kritik kaum
noch entziehen. Ein besonders furchtbarer Hort ist die Videoplattform YouTube.
Wie es ein Kollege ausdrückte, ist das Lesen einer beliebigen Anzahl von
Kommentaren dort der Garant, den Glauben an die Menschheit wieder ein Stück
weiter einzubüßen. Gerade bei deutschsprachigen Beiträgen sind
rechtsorientierte Einträge niemals weit, egal, was das entsprechende Video zum
Inhalt hat, die eigene Meinung wird meistens nur sehr unzureichend in einen
verständlichen Satz gebracht (Satzzeichen sind eine hervorragende Erfindung)
und auch die Verteidiger bekleckern sich oft nicht mit Ruhm. Eine reflektierte,
gar intellektuelle Auseinandersetzung, die ab und an von besonders
idealistischen Nutzern angestoßen wird, versandet meist recht schnell in der
Entrüstung derer, die zu solch einer Diskussion nicht in der Lage sind. Wer am
lautesten brüllt hat recht und gerade die genannten Rechtskonservativen beenden
jeglichen Diskurs mit dem Verweis auf die unterwanderten Mainstreammedien. Im
Internet darf ein jener jedem noch so absurden Weltbild frönen und dies durch
ein paar Zeilen unter einem Video verbreiten.
Nun ist diese Erkenntnis nicht
neu. Über das Internet lässt sich nicht nur schnell und unbürokratisch etwas
Gutes für die Allgemeinheit organisieren, sondern es vernetzen sich auch
Gruppen, die der Demokratie, die eine solche Nutzung überhaupt erst möglich
macht, aktiv schaden wollen. Es ist die bekannte Dualität, mit der man als
Bewohner dieses widersprüchlichen Planeten leben muss. Doch die Heftigkeit, mit
der Diskussionen auch über eigentliche Nichtigkeiten geführt werden, erstaunt
immer wieder. Über das Warum kann man vortrefflich spekulieren und landet am
Ende mit einiger Wahrscheinlichkeit wieder bei der vermeintlichen Anonymität im
Netz. Das fehlende menschliche Gegenüber, das Ausbleiben einer direkten
emotionalen Reaktion lässt die Hülle der Zivilisation augenscheinlich um
einiges schneller fallen als es eine reelle Begegnung provozieren würde. Wobei
die (gefühlt) zunehmende Aggressivität im Alltag auch eine gegenteilige
Entwicklung belegen könnte, aber das ist ein Thema für sich.
Gerade in der Filmkritik manifestiert sich die Dualität in
der immer wieder gern bemühten Unterscheidung zwischen „Mainstream“ und
„Arthaus“. Ja, auch ich verwende diese Begriffe, mal mehr, mal weniger negativ konnotiert,
aber der Absolutheitsanspruch, mit dem die Unterscheidung und die damit
verbundene (eingebildete) Wertigkeit teilweise verteidigt wird, erstaunt mich.
Ein Beispiel: Einer der für mich besten Filme des Jahres 2013 ist der
ungarische Just the Wind. Der Film ist sperrig, lief in Deutschland mit einer
verschwindend geringen Kopienanzahl und dürfte außerhalb von cinephilen Kreisen
kaum beachtet, geschweige denn gesehen, werden. Gravity dürften hingegen sehr
viel mehr Menschen gesehen haben, auch viele, die ohnehin nur „Mainstream“
schauen. Ist es deshalb angeraten, die Zuschauer von Just the Wind automatisch
als intelligenter, gebildeter, geschmackvoller als die Gravity-Fans
einzustufen? Wohl kaum. Zumal auch Gravity ein grandioser Film war. Der Filmkritiker
benutzt das Distinktionsmerkmal gern die Abgrenzung zur populären Unterhaltung,
egal so sie angebracht ist oder nicht. Natürlich ist man in der Mehrheit, wenn
man die Transformers-Filme ablehnt, aber man kann genauso Pacific Rim gegen
einen falsch verstandenen Intellektualitätsanspruch verteidigen. Der
Trugschluss liegt einfach darin, im „Arthaus“ automatisch etwas wertigeres zu
sehen als in jenen Filmen, die auch ihren Weg ins Multiplex finden. Natürlich
ist Film ein weites Feld, von dem man sich wünscht, dass es von vielen Menschen
abgegrast, zumindest bemerkt, wird. Ganz davon abgesehen, dass die Freund der
Distinktion sich dann im verhassten „Mainstream“ wiederfinden würden, ist es
wohl auch schlicht nicht möglich. Kultur hat an sich einen schwierigen Stand
und gerade die audiovisuellen Medien sind immer noch einem unterschwelligen
Generalverdacht ausgeliefert, doch „nur“ eskapistische Unterhaltung zu
offerieren. Und genau das sucht wohl ein Großteil der von der täglichen, nicht
mit der Kultur im engeren Sinne verbundenden Arbeit. Der sogenannte
„Mainstream“ generiert sich aus einem Bedürfnis, nicht aus einer allgemeinen
Dummheit, wie manchmal unterstellt wird. Es ist also falsch, aus dem
Ist-Zustand auf eine allgemeingültige geistige Verfassung des Publikums zu
schließen. Natürlich kann man Gegenbeispiele en masse finden, natürlich kann
man manchmal ob der Formelhaftigkeit vieler Produktionen verzweifeln und die
Sinnfrage ist nach der zehntausendsten romantischen Komödie und dem x-ten
Slasherfilm selbstredend angebracht, aber es ist kein Automatismus, dass sich
in dem, was der angeblich so kulturbeflissende Kritiker als „Mainstream“
verunglimpft, nicht auch Überraschungen oder schlicht und einfach gute
Unterhaltung verbergen kann.
Es ist zudem eine Frage, wie man die eigenen Gedanken
kommuniziert. Eine schlüssige, intelligent geschriebene Verteidigung des
neusten Michael-Bay-Films ist mir beispielsweise sehr viel willkommener als ein
Bashing des neusten Blockbusters, dass sich einer vulgären Sprache bedient oder
– fast noch schlimmer – keinerlei Einblick in die Gedankengänge und
Urteilsfindungen des Rezensenten bietet. Gelingt mir das immer? Wohl kaum. Doch
wenn ich mir meine Kritiken ansehe, die ich als Jugendlicher aufs Papier
brachte, bin ich froh, dem persönlichen Beleidigungsdrang inzwischen entwachsen
zu sein und mehr auf eine Narrative innerhalb der Besprechungen zu achten. Und
ich lese mit Gewinn gut geschriebene Gedanken anderer Blogger und Kritiker,
auch wenn sie nicht meiner eigenen Meinung entsprechen. Doch es gibt auch
Negativbeispiele, die ihre Rezensionen lieber mit Kraftausdrücken anreichern
oder ein Urteil zementieren wollen, ohne dies auch nur im Entferntesten zu
begründen. Nochmal, es geht nicht um die Pluralität der Meinungen, sondern um
die Art und Weise, wie sie verpackt werden und das mitunter krude
Überlegenheitsgefühl, dass sich in diversen Grundsatzurteilen andeutet. Bin ich
„besser“, weil mir die Herr der Ringe- und Hobbit-Filme nicht gefallen, ich
dafür den originalen Bis das Blut gefriert kenne und nicht nur das Remake? Und
bin ich ein unwissender Trottel, weil ich den Star Wars-Prequels gute, mitunter
sogar großartige Seiten abgewinnen kann, den Arthaus-Liebling 2013, Frances Ha,
aber über weite Strecken schwer erträglich finde?
Letztlich gilt in der Filmkritik der gleiche Grundsatz wie
auch sonst im Leben: etwas mehr Gelassen- und vor allem Besonnenheit nimmt viel
Konfliktpotenzial aus Situationen heraus. Das dies nicht immer gelingen kann,
ist auch verständlich, immerhin hat man es immer noch mit Menschen zu tun, aber
die Reflexe, die das Internet manchmal zutage fördert, tun dem Wesen der Kritik
und einem respektvollen Miteinander meistens weniger gut. Warum schaut man
beispielsweise Roger Ebert und Gene Siskel auch nach ihren Toden gern noch bei
aufgezeichneten Streitgesprächen zu? Weil dort zwei intelligente Menschen mit
einer Passion über etwas streiten, was im Angesicht der Probleme der Welt
nichtig erscheinen mag, sie ihre Argumente aber dennoch in einen nachvollziehbaren,
dem Menschen und dem Sujet mit Respekt begegnenden Rahmen zu verpacken wissen.
Wenn Hitzköpfe aufeinander losgehen oder die berühmt-berüchtigten
Internet-Trolle darauf warten, eigentlich besonnene Menschen auf ihr Niveau
hinabzureißen, ist das schon weit weniger unterhaltsam und vor allem einer
fruchtbaren Diskussionskultur unwürdig.