Mittwoch, 8. August 2012

Filmkommentar: Merida - Legende der Highlands


Poster zu PIXARs Brave (Quelle: http://insidemovies.ew.com)

PIXAR, jenes Animationsstudio, dem lange scheinbar nichts aus den Händen gleiten konnte, muss in diesen Tagen sowohl von der US- als auch der deutschen Presse einiges einstecken. „[…]den Zauber früherer Pixar- Meisterwerke versprüht 'Merida' nicht. Anarchische Gags oder charmante Slapstickeinlagen sucht man ebenso vergebens wie Figuren, die einem ans Herz wachsen“[1] urteilt etwa cinema und US.Kritiker Dustin Putman kommt zu dem (vielleicht etwas vorschnellen) Urteil: „The studio is in a definite downslide, and 'Brave' is simply the latest proof that they don't have the magic touch they used to.“[2]

Was hat Brave, der im deutschen etwas holprig Merida – Legende der Highlands heißt, falsch gemacht? Sicher ist, es gibt einiges zu kritisieren an PIXARs neustem Streich. Vom reinen Unterhaltungsstandpunkt aus ist er womöglich zu wenig „Trickfilm“ für manchen Geschmack. Die Farbpalette ist gedeckt und realistisch, eine visuelle Wohltat gegenüber der grellbunten Bonbonwelt, die uns vor kurzem noch in Der Lorax aufgetischt wurde. Und wenn in cinema die Slapstick vermisst wird, hat man nicht nur den ernsten Hintergrund des Films vergessen, sondern wohl auch nicht mehr die Szenen vor Augen, nachdem Elinor in einen Bären verwandelt wurde. Zumal Slapstick noch nie wirklich in PIXARs Repertoire war. Dennoch gibt es genug zum schmunzeln und lachen im Film, nichts bahnbrechendes, aber PIXARs Art von Humor setzt ohnehin eher auf die leisen, kontextbezogenen Töne.

Fakt ist auch, dass sich die Stärken der Filme aus dem kalifornischen Studio oft erst in ihrer Gänze in der stillen Analyse zeigen. Nach einem PIXAR-Film sollte die Kritik nicht zu schnell in den Rechner getippt werden, denn auch der massiv geschmähte Cars 2 war zwar der bisherige Tiefpunkt in der Filmographie des Studios, aber immer noch gehaltvoller als ärgerliche Ergebnisse von Industriespionage wie Rio aus dem Hause Blue Sky.
Einer der Hauptvorwürfe ist die nicht von der Hand zu weisende Nähe zum archetypischen Disney-Narrativ. Merida reproduziert demnach vor allem die allseits bekannte Geschichte des Außenseiters, der anderes vom Leben erwartet als die Welt um ihn herum. Dies ist aber weder nur den Disney-Zeichentrickfilmen noch sonst einem Studio o.ä. zuzubilligen. Vielmehr ist Merida PIXARs Beitrag zu jenem Handlungsgerüst, das 1998 in dem großartigen Antz bereits süffisant auf den Punkt gebracht wurde: „Da habt ihr es: Eine typische Junge-trifft-Mädchen, Junge-mag-Mädchen, Junge-verändert-bestehende-Gesellschaftsformen-Story.“ 
Hier ist es nun eine Prinzessin, die die Veränderung herbeiführt und da auf den Part „Junge trifft Mädchen“ verzichtet wird, bewegt sich Merida sogar eher von den Disney-Statuten weg als dass sich der Film ihnen annähert. Merida ist keine Prinzessin Jasmin, sie braucht keinen Aladdin, der sie im letzten Moment rettet und sie setzt auch nicht wie jene ihren Körper ein, um ihre Ziele zu verfolgen. Auch reproduziert sie nicht das Bild der kämpferischen Amazone, die letztlich nur männliche Seh-Gelüste befriedigt. Und sie wird nicht als starker Charakter eingeführt wie Captain Amelia in Der Schatzplanet, die ihre Autorität letztlich dennoch an einen eigentlich unterlegenen Charakter wie Dr. Doppler abgeben muss. 

Merida ist eine Prinzessin, sicherlich, aber keine im Sinne Disneys. Man mag nun argumentieren, dass ihr Körper nicht ausgenutzt wird, weil der Charakter erst 14 Jahre alt ist, aber es ist bei PIXARs Reputation doch zu vermuten, dass hier bewusst mit dem Disney-Klischee gespielt wurde. Im vielgelobten Rapunzel aus dem Hause Disney setzt die Titelheldin eine Bratpfanne als Waffe ein. Ob ironischer Kommentar oder nicht, Merida ist da sehr viel potenter, mit ihrem Pfeil & Bogen übertrifft sie jeden Mann im schottischen Königreich. Ein Kommentar unter dem Pseudonym mwic auf der Seite Slant Magazine bringt das zentrale Bild des oft gespielten Trailers (der eine der wichtigsten Szenen des Films vorweg nimmt) auf den Punkt, nämlich als Meridas Pfeil den Pfeil eines der Bewerber um ihre Hand spaltet: „[…]destroying a suitor's phallus with her own[…]“[3]
„Der Phallus ist im Gegensatz zum Penis nie schlaff, er ist Symbol für Fruchtbarkeit und Kraft“.[4] Frauen gelten als Symbol der Fruchtbarkeit, Männer als das der Kraft. Merida vereint also beides in sich, viel mehr als die allermeisten Disney-Prinzessinnen, denen im Endeffekt keine wirkliche Überlegenheit zugestanden wird.

Das Merida die Weiblichkeit seiner Hauptfiguren ernst nimmt, ohne ihre Körper auszustellen, zeigt sich noch an (mindestens) zwei weiteren Beispielen. Ersteres wird hauptsächlich im Dienste des Humors eingesetzt: die Männer sind domestiziert. Die grundlegenden Fragen über Gesellschaft und interfamiliäres Miteinander werden von Frauen, stellvertreten durch Merida und ihre Mutter Elinor diskutiert, die Männer sind allesamt nicht in der Lage, dies zu tun. Sie kämpfen lieber spielerisch miteinander, man muss ihrem Ego und ihrem Magen schmeicheln, um sie zu erreichen. Meridas Vater Fergus ist ohne seine Frau aufgeschmissen und seiner Tochter ohnehin heillos unterlegen. Die Männer sind nicht wirklich machtvoll, die Intelligenz der Frauen übersteigt ihre bei Weitem. Die kulturelle Domestizierung des Mannes wird hier von PIXAR ähnlich augenzwinkernd kommentiert wie es Filme wie Mein Liebhaber vom anderen Stern tun.
Zweiteres ist der Showdown, üblicherweise zwischen Männern ausgetragen, bekommt er in Merida eine ausdrücklich weibliche Komponente. Die in einem Bär verwandelte Elinor muss das (männliche) Monster von einem Bären, Mordu, bekämpfen. Die menschlichen Männer im Film sind nicht machtvoll, aber Mordu, ein verwandelter, habgieriger, tyrannischer Mann, vereint all die traditionell negativ-männlichen Eigenschaften auf sich. Er ist rücksichtslos, körperlich einschüchternd, grausam und brutal und Elinor und ihre Tochter müssen symbolisch auch diesen Aspekt der Welt überwinden, bevor die Gesellschaft sich ändern kann. Hat Merida vorher Aspekte des Charakters ihrer Mutter übernommen, muss Elinor nun ihrerseits Aspekte ihrer Tochter (bedingungslose Durchsetzungsfähigkeit zum Beispiel) übernehmen, um Mordu zu besiegen. Damit haben beide voneinander gelernt und die Verwandlung zurück in einen Menschen kann stattfinden. Im Film heißt es „Das Band muss neu geknüpft werden“ und der Film bedient dieses Bild gleich auf drei Ebenen: der bildlichen mit der Rettung des Wandteppichs, auf der emotionalen mit dem neu verwobenen Band zwischen Mutter und Tochter und auf der sozialen mit den neu arrangierten Gesellschaftsstrukturen.

Man kann Meridas Odyssee und den ganzen Film wie Hans-Georg Rodek von der WELT deuten: „Pixar-Filme funktionierten bisher so, dass die Kinder die Erwachsenen ins Kino zerrten und sich beide belohnt sahen, die einen mit einer coolen Geschichte und die anderen mit einem intelligent umgeformten Mythos. ‚Merida‘ bietet weder das eine noch das andere und tischt uns stattdessen auf: die alte Disney-Soße“[5] und sich über die inhaltlichen Parallelen zu Disneys Die Schöne und das Biest und Bärenbrüder echauffieren. Man muss es aber nicht.
Und der Vorwurf des Slant Magazine klingt schon fast verzweifelt: „But ultimately the film offers nothing more than a caricature of a well-worn conceit (a princess doesn't fit into her shiny box, so she just breaks all the rules and does what she wants), neatly repackaged for another generation of young moviegoers who haven't met Princess Jasmine from Aladdin and don't realize that they're eating yesterday's leftovers.”[6]  

Oberflächlich mag all das zutreffend sein, mögen die Vergleiche mit Disney und die Enttäuschung darüber, eine eher klassische Geschichte gesehen zu haben, Gehör finden, aber Merida offeriert nicht die Reste von gestern, vielmehr mixt er für die Menschheit typische und offensichtlich wichtige Storyelemente (sonst würden sie gar nicht immer wieder auftauchen) unter anderen Vorzeichen zusammen. Merida ist ein äußerst reichhaltiger Film, nuanciert und intelligent, wenn man sich nur die Mühe macht, hinter die Fassade zu blicken. Emotional trifft der Film ohnehin ins Schwarze, dass wird jeder bestätigen, der (Streit-)Gespräche zwischen Müttern und Töchtern kennt. Und die ach-so-sehr aus Die Schöne und das Biest gestohlene Transformation am Ende ist derartig perfekt getimt, dass auch alte Filmhasen sich für einen Augenblick noch getäuscht sehen können. Ein vielleicht sechsjähriges Mädchen hat diese Szene während meiner Vorstellung im Kino mit Weinen begleitet. Ich habe anno 1992 im Kino beim Beinahe-Tod des Biests in Die Schöne und das Biest geweint. Nochmal, Merida offeriert keine Reste, gute Geschichten werden nun mal immer wieder neu inszeniert. Für das kleine Mädchen kann Merida das werden, was Die Schöne und das Biest für mich ist. Und es gibt deutlich schlechtere Wahlen für die Kür zu einem Film, der einem als Kind zeigte, zu was dieses Medium in der Lage ist.

Merida – Legende der Highlands ist kein Disney-Film mit dem PIXAR-Logo im Vorspann. Es ist vielmehr die subtile Weiterentwicklung von Konzepten, die Disney stets streifte, aber selten vollständig ausführte. PIXAR hat immer noch genug Magie, um dem Zuschauer knapp zwei Stunden hervorragende Kinounterhaltung zu bieten. Lassen Sie sich drauf ein.

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